Das Alphamädchen

14.06.2007

Im Gegensatz zu neuen Inhalten ist die Schöpfung neuer Wörter vergleichsweise einfach. Manche Menschen begehen zwar den (un)verständlichen Irrtum, daß man mit der Schaffung neuer Wörter auch neue Inhalte kreiert - und damit die vermeintlich die Schwierigkeiten der inhaltlichen Auseinandersetzung umschifft - aber selbst wenn man nur alten Wein in neuen Schläuchen anpreisen will, kann man sogar alte Schläuche verwenden und einen neuen Namen draufschreiben. Das kommt im Prinzip auf das Gleiche raus.

Eine dieser gerade aktuellen Wortschöpfungen ist der Begriff "Alphamädchen". Ursprünglich stammt diese Art der Bezeichnung wohl aus der Biologie. Speziell manche Säugetiere - aber auch anderes Getier - leben in Gruppen, die von einem Artgenossen angeführt werden. Jenes Tier an der Spitze heißt Alpha-Tier. Im leicht abgewandelten Kontext könnte man auch die Begriffe Anführer, Häuptling, Führungskraft oder Bundeskanzler nennen. Gemäß der Reihenfolge im griechischen Alphabet heißen die Exemplare im Gefolge des Anführers - seine Paladine - Beta-Tiere und dann gibt es noch Gamma-Viehzeug = der Rest halt. Hier geht es nur um den 1. Buchstaben.

Das Alphatierchen zeichnet sich durch besondere Stärke, dominantes Verhalten und gewisse Vorrechte bei der Fortpflanzung aus. Man denkt hier gerne an ein männliches Tier, welches gleich einem Pascha einen Harem weiblicher Artgenossen anführt und begattet - penibel darauf achtend, daß kein anderes Männchen seinen Samen in der Gruppe verteilen kann. Aber Alphatiere sind nicht zwangsläufig männlich. In einem Bienenstock zum Beispiel ist das Oberhaupt weiblich, wird aber nicht als "Alphabienchen" sondern malerischer als "Königin" tituliert.

Trotzdem hat sich der Begriff Alpha-Männchen etabliert, nicht nur weil es reichhaltige Beispiele männlich geführter Tierhorden gibt sondern weil es - im antroposophischen Zusammenhang - für die männliche Dominanz in der menschlichen Zivilisation steht - eine Dominanz die nach vielen Jahren weiblichen Emanzipation langsam zu bröckeln beginnt. So müßte man das Gegenstück zum Alpha-Männchen passendweise ... bezeichnen - ja wie eigentlich? Zur Auswahl stehen Alpha-Weibchen oder Alpha-Frauchen oder vielleicht nicht in der verniedlichenden "chen"-Form der Alpha-Mann und die Alpha-Frau. Aber aus unerfindlichen Gründen hat weder der Wortstamm "Frau" noch "Weib" dienen können. Stattdessen soll das weibliche Pedand "Alpha-Mädchen" heißen. Als Entschuldigung kann man vielleicht anbringen, daß Alpha-Männchen und Alpha-Mädchen zum verwechseln ähnlich klingen. Aber das war es dann auch.

Dümmer hätte man - besser frau - den Begriff gar nicht wählen können. Der Begriff "Mädchen" bezeichnet weniger eine junge Frau sondern die Vorstufe einer jungen Frau. Schon von der Grammatik wird dem Mädchen die Weiblichkeit (noch) nicht zuerkannt. Es heißt "das Mädchen" = sächlich - als etwas was mal eine Frau werden kann, aber eben noch nicht ist. Das mag diskriminierend klingt, ist vielleicht aber eine Art Schutz: Sächlich bedeutet geschlechtslos - also Jungs/Männer: lasst die Finger davon! Wenn daran glaubt, daß Wörter die Gedanken verändern, könnte es sogar funktioieren. Schlimmer ist dagegen, daß es Mädchen nur in der verniedlichenden "chen"-Form gibt. Die Stammform - vermultich "Magd" - ist nicht mehr im aktiven Sprachgebrauch. So ist das Alpha-Mädchen vielleicht eine passendes Gegenstück zum Alpha-Männchen aber eben nicht zum Alpha-Mann.

Was ist also das Alpha-Mädchen? Ist die logische Fortsetzung des Fräuleinwunders, der Zicke, dem bösen Mächen (das nicht nur in den Himmel will) und diverser Trends die uns inzwischen mit beinahe monotoner Regelmäßigkeit heimsuchen? Übrigens ist das Wort "Fräulein" wegen seiner verniedlichenden "lein"-Form nicht nur als Anrede sondern komplett aus dem deutschen Sprachgebrauch verschwunden. Wer nach adäquten Ausgleich sucht, kann es mal mit "Misses" oder "Mademoiselle" versuchen. Ausländiche Wörter sind von den emanzipatorischen Fundamentalistinnen - auch in deren Muttersprache - weniger heftig attakiert worden. Schade eigentlich, denn "Fräuleinwunder" war eines der wenigen deuschen Wörter, die mit positiver Assoziation auf das internationale Parkett geschafft haben. Der Begriff Mädchen hat auch überlebt, aber vermutlich weil er schutzbedürftig und zwar verniedlichend aber eigentlich nicht weiblich ist. Selbst die Liedzeile aus den späten Neunzigern "Weil ich ein Mädchen bin!" bekommt hier eher die unterschwellige Bedeutung "... deshalb sollte man(n) mich nicht ernst nehmen."

Jetzt kommen also die Alpha-Mädchen, also so etwas wie Nicht-so-richtig-Frauen, die eine Führungsposition einnehmen wollen. Wer hier die gedankenformende Wirkung von Wörten berücksichtigt, kann den den Begriff und damit das was inhaltlich dahinter stehte, nur als Scherz auffassen. Es ist wohl ein Trend - eine kurzzeitige Entwicklung und so wechselhaft und vergänglich wie die Mode - eine Domäne der Weiblichkeit.

Nun meinen einige Auguren bereits den Niedergang der Männlichkeit auszumachen. Das ist sicherlich eine wenig haltbare Extrapolation. Jetzt, wo die Emanzipation ein paar unübersehbare Früchte zeigt - also Frauen in zentrale gesellschaftliche Positionen vordringen - könnte diese Ergebnisse zwar als Trendwende aber nicht als Umkehrtrend gewertet werden. Wäre ja schlimm, wenn sich nach all den Jahren die Geschlechterdiskussion überhaupt keine Veränderungen gebracht. Aber nur weil manche Frauen aus dem Gravitationsfeld der drei K entkommen konnten ist die Situation für Männer nicht so komplett anders. Es gibt ein paar neue ernstzunehmende Mitstreiter und Konkurrenten, die optisch hin und wieder einen gewaltigen Zugewinn bedeuten. Zugegeben die Herausforderung ist größer geworden, aber geändert hat sich nicht viel. Frauen waren schon immer eine Herausforderung - auch in Zeiten des beinahe vergessenen Patriarchats.

Hoffen wir einfach, daß das Alpha-Mädchen ein Trend bleibt und die Alpha-Frau zur Institution wird. Alle andere wäre - naja zumindest kein Fortschritt.


Als ich diesen Text auf die Seite gestellt habe war der vom Zufallsgenerator gewählte Spruch des Tages "Beherrsche die Sache, dann folgen die Worte."
Vielleicht doch kein Zufall sondern unentdeckte Intelligenz?;)